Hautnah dabei

Foto: Kerstin Leicht

Funktions-Unterhemden sind nicht irgendeine zusätzliche Kleidungsschicht. Ihr großflächiger Hautkontakt sorgt für Wintertrainings-Wohlgefühle – wenn die Hersteller Alles richtig gemacht haben. Wir haben das in Textillabor und Sattel überprüft. Acht Modelle von 45 bis 95 Euro im TOUR-Test.

Ganz vorne an der Pipette hängt der Tropfen der Erkenntnis. Ein Tropfen Wasser, bereit, auf ein dunkelblaues Stückchen Stoff zu fallen. Es ist die Innenseite eines Funktionsshirts. Plitsch! Zehn Sekunden, nachdem der Tropfen ins Textil gesickert ist, ist er verschwunden. Kein dunkler Fleck innen, der prüfende Fingerrücken spürt kaum Feuchtigkeit. Den Stoff umdrehen, und siehe da: ein großer, dunkler Fleck verrät, wohin das kühle Nass verschwunden ist.

Innen trocken, außen nass – ganz ähnlich wie mit dem Tropfen im Labor gehen moderne Funktionsshirts auch mit dem Schweiß um, den wir im Sattel vergießen: sogenannte „zweiflächige“ Gestricke sind mittlerweile verbreitet. Sie sind innen grobmaschiger als auf der Außenseite. Dadurch entsteht eine Kapillarwirkung, ein Sog von innen nach außen. Und weil die meist verwendeten Kunstfaser, von Polypropylen über Polyester bis Polyamid, ohnehin wenig Wasser aufnehmen, ist das Ergebnis erfreulich: Kühlung bei Vollgas, trockene Wärme im Standgas – ein derart geregeltes Feuchtigkeitsmanagment trägt spürbar dazu bei, die Körpertemperatur konstant und die Leistungsfähigkeit hoch zu halten.

Dabei unterscheiden sich die Anforderungen an ein gutes Winter-Funktionsshirt geringfügig von denen an einen Unterzieher im Sommer. Angesichts der eher gleichmäßigen, niedrigeren Intensität im Winter ist eine schnelle Trocknung und höhere Isolation hilfreich, während im Sommer eine kurzzeitige Feuchtigkeitsaufnahme die Kühlwirkung des Schweißes unterstützt. In unserem Test zeigt sich, dass die Hersteller dieses Wissen gezielt umsetzen. Craft und Löffler bewerben ihre weniger wärmenden Teile entsprechend eher für den vielseitigen als für den reinen Wintereinsatz. Etwas anders funktioniert die seit Jahren populärer werdende Merinowolle. Sie wärmt – wie die Messkurve auf Seite 47 zeigt – auch feucht noch gut, doch wenn sie klatschnass ist, bleibt sie lange klamm. Für Starkschwitzer ist sie nicht Erste Wahl, bei moderater Anstrengung hat sie überzeugte Anhänger.

Fotos: Kerstin Leicht

Die sichtbarste Entwicklung der vergangenen Jahre ist praktisch nahtlose Kleidung, hochelastisch und enganliegend. Dieser faltenfreie Vollkontakt nutzt das Potenzial der Fasern, während der Strukturmix der Oberflächen mit Netz- oder Rillenmuster unseren Testern wenig Aha-Erlebnisse bescherte. Auch pauschale Gewissheiten, welche der drei üblichen Kunstfasern (Polyester, Polypropylen, Polyamid) die beste Klimafunktion bietet, sind angesichts unsichtbarer Faserstrukturen und Verarbeitungsweisen hinfällig. Der Labortest, dem wir die Testmuster im renommierten Hohenstein-Textillabor unterzogen haben, sieht kein Material grundsätzlich vorne.

Am Ende suggeriert die geringe Streuung der Gesamtnoten, bei der Wahl eines solchen Markenshirts könne man wenig falsch machen. Ein glatter Irrtum: Je nach Fahrertyp und Einsatz überzeugten in der Testergunst vor allem radspezifisch geschnittene, enganliegende Modelle. Craft punktete eher in den Übergangszeiten, das schnelltrocknende Gore-Shirt und das gutsitzende Odlo-Hemd bekommen den „wintertauglich“-Stempel.

So testet TOUR

Das Herzstück dieses TOUR-Tests sind Messungen der Textilforscher der Hohenstein Laboratories. Auf einem sogenannten „Hautmodell“ wurden Feuchtigkeitsaufnahme, Isolationsfähigkeit des feuchten Textils und sein Trocknungsverhalten untersucht. Die Ergebnisse der Messungen fließen zu 50 Prozent in die „Klima“-Wertung ein, die zu 40 Prozent das Gesamturteil bestimmt. Im praktischen Test haben zwei Frauen und vier Männer die Funktions-Shirts nach Testfahrten anhand von zehn Kriterien bewertet. Ihre Erfahrungen bündeln sich in den Wertungen für Haptik und Passform. Das Tester-Urteil hat außerdem einen Anteil von 50 Prozent an der Klima-Wertung.

Fotos: Kerstin Leicht

Interview mit Silke Off, Hohenstein Laboratories, Laborleiterin Bekleidungsphysiologie

TOUR: Wie schätzen Sie die Laborergebnisse der Langarmunterhemden ein?
SILKE OFF: Die meisten sind nicht überragend. Aus Reihenuntersuchungen mit Testpersonen wissen wir, dass ein guter Wert für die völlige Trocknung eines feuchtigkeitsgesättigten Textils unter 21 Minuten Trocknungszeit liegt. Das erreicht keines der Muster, was aber auch an der vergleichsweise höheren Materialstärke im Winter liegen kann. Generell ist eine schnellere Trocknung besser, man erkennt sie am steilen Anstieg der Kurve nach dem ersten Tiefpunkt und am raschen Erreichen der „Flatline“. Auch unter einer Membranjacke dürften die schnell trocknenden Shirts am besten funktionieren.

Lässt sich das Messergebnis schon anhand des Kragenetiketts vorhersagen? Da steht ja, ob ein Hemd aus Polypropylen, Polyester, Polyamid, Wolle oder irgendwelchen Mischungen besteht.
Das Grundmaterial der Faser sagt in diesem Zusammenhang nicht genug aus. Im vorliegenden Trocknungstest schneiden zum Beispiel Hemden mit hohem Anteil von Polypropylen, Polyester, aber auch von Wolle gut ab. Das Ergebnis hängt sehr stark von der Faserstruktur, der Art des Gestricks und der textilchemischen Ausrüstung ab, und nicht nur vom jeweiligen Fasermaterial. Da lässt sich wenig vorhersagen oder verallgemeinern, das muss in jedem Einzelfall untersucht werden. Die einzige Faser mit weitgehend vorhersehbaren Ergebnissen ist Polyurethan, also Elasthan. Ein hoher Anteil davon ist für das Trocknungsverhalten ungünstig, man fröstelt darin eher.

Wie sieht es mit Wolle aus? Die verhält sich doch auch ganz speziell.
In diesem Test schneidet sie bekleidungsphysiologisch sogar besser ab als die Kunstfasern. Die beiden warmen Shirts von UYN und Vaude verlieren durch Nässe nur wenig an Isolation, doch die Wolle bei Vaude trocknet deutlich schneller!

Sehr auffällig sind aktuell Funktions-Shirts mit unterschiedlicher Struktur an verschiedenen Körperpartien: Netz unterm Arm, doppelt auf der Schulter, Waffelmuster über der Brust und so weiter. Ist wenigstens das ein Qualitätskriterium, das sich per Augenschein beurteilen lässt?
Da müssen wir Sie enttäuschen. Es kommt viel mehr auf das richtige Material und eine anliegende Passform an als auf solche Details. Das sieht man auch bei dieser Detailmessung: Die besten Ergebnisse haben wir bei Vaude, Craft, Löffler und Gore – und das sind allesamt Materialien mit eher homogener Fläche.

Und aufgrund der Messungen ist klar, welches Shirt für Radsportler das beste ist?
Ehrlich gesagt: nein. Wir haben flache Stoffmuster untersucht. Für ein umfassendes Urteil braucht es zumindest noch praktische Trageversuche. Auf dem Hautmodell haben wir in diesem Fall nur gemessen, welches Material auch feucht noch gut wärmt und rasch trocknet. Aber das ist im Sport, insbesondere im Winter, schon sehr wichtig.

erschienen in:
TOUR – Das Rennradmagazin