Garantiert kompliziert

Foto: Jörg Spaniol

Wenn das Traumfully knarzt, die Bremse ständig Luft zieht oder die nagelneue Regenjacke sich auflöst, schwillt Manchem der Hals. Aber ist jeder Mangel am Produkt automatisch ein Garantiefall? BIKE klärt, welche Rechte Kunden haben – und welchen Stress man sich und seinen Mitmenschen besser erspart.

Wenn er Schmatzen und Schlürfen hört, wird Mirko Kloppenburg dünnhäutig. Aber es sind nicht die Tischsitten Anderer, die ihn so verspannen – es ist der Dämpfer an seinem Marathonfully. Um die 10.000 Euro kostet seine Carbon-Rennfeile, und da erwartet Mirko einfach geräuschlose, geschmeidige Funktion. Die lieferte sein Bike auch. Bis es nach über einem Jahr anfing, zu schmatzen. Kurz vor Saisonbeginn, Mirko hatte sich über den Winter eine passable Form antrainiert und schon bei ein paar Rennen angemeldet, grätschte der Dämpfer ihm schmatzend und schlürfend in den Saisonstart. Und weil Mirko sich auch beruflich mit solchen Dingen auskennt, blinkte in seinem Kopf gleich die Signalleuchte mit dem Wort „Gewährleistung“ auf.

Zwei Jahre lang, so will es das Gesetz in der Europäischen Union, muss ein Produkt durch einwandfreie Funktion beweisen, dass es nicht schon beim Kauf defekt war. Und das kann auch heißen: für den Gebrauch nicht angemessen ausgelegt. Mirkos Bike war deutlich jünger, außerdem mit einer weitreichenden Garantie versehen, und so fuhr er zuversichtlich zum Händler, um schnellstmöglich Ersatz oder Service zu bekommen – immerhin sollte ihn sein Bike in den kommenden Wochen über die eine oder andere Startlinie tragen. Eigentlich.

Mirkos Protokoll vermerkt: „1. März: Reklamation beim Händler.“ Es folgt das minutiös über Dutzende Mails, Telefonate und Briefe protokollierte Ansteigen seiner Erregungskurve. Denn der Händler, grundsätzlich der richtige Ansprechpartner, musste das Teil zum Service an die holländische Zentrale der Marke einschicken. Dauer der Reparatur: nicht absehbar. Austauschdämpfer? Fehlanzeige. Saisonbeginn? Verschoben. Nach vier Wochen kam endlich der neue Dämpfer – der wiederum nur acht Wochen mitspielte. Für Mirko steht damit die zweite Runde Reklamations-Rundlauf an: irgendwo zwischen dem Händler, dem Europa-Vertrieb des amerikanischen Herstellers im einen und seinem technischen Service in einem anderen Land wächst der Kundenfrust. Mirko schnaubt: „Wenn ich ein Rad dieser Preisklasse kaufe, erwarte ich einen 1A-Service“ sagt er, „oder wenigstens jemanden, der fundiert Auskunft über Ablauf und Wartezeiten gibt.“

Autokäufer würden das nicht tolerieren

Mirkos Fall ist symptomatisch für den Kundenfrust angesichts vollmundiger Garantieversprechen und der eigentlich verbraucherfreundlichen europäischen Gesetzgebung. Die Sachmängelhaftung (so heißt die Gewährleistung nach einer Gesetzesänderung heute offiziell) gibt dem Verbraucher einen soliden Stand bei Reklamationen. Doch bis auf die mangelhafte Kommunikation zwischen Hersteller und Händler hat sich keiner der Beteiligten grobe Schnitzer geleistet. Dämpfer gehen kaputt, und das nicht zu selten. Nicht jeder Händler kann jeden Dämpfer reparieren, und so bisweilen Monate ins Land, bis der Biker endlich wieder im Sattel sitzt. Ein Autokäufer würde das nicht tolerieren, doch die Bikebranche tickt so.

Nicht nur der Biker, sondern auch der Händler ist der Angeschmierte, wenn ein Produkt versagt. Sowohl bei der Gewährleistung wie in Mirkos Fall als auch bei der Abwicklung von Garantieansprüchen (den wichtigen Unterschied erklären wir detailiert auf Seite xx) steht er in der ersten Reihe. Viele sind davon überfordert: Der Bundesverband der Verbraucherzentralen hat über alle Branchen hinweg 100 Reklamationsfälle ausgewertet, in denen Käufer mit defekten Produkten Hilfe suchten. In unglaublichen 92 Prozent der Fälle verstießen die Händler gegen die gesetzlichen Gewährleistungsrechte. Sie ließen Kunden abblitzen, erklärten sich für nicht zuständig, stellten falsche Behauptungen über die Rechtslage auf, forderten Bearbeitungsgebühren oder unterstellten eigenes Verschulden. Sicher, der Händler verdient am Verkauf, während Reklamationen ihn bloß Geld kosten. Doch nicht immer ist böser Wille im Spiel: die Materie ist so kompliziert, dass mancher Fall auf Unwissen beruhen dürfte.

Das beginnt bei der der sehr grundlegenden Unterscheidung zwischen den Begriffen der Sachmängelhaftung und der häufig damit verwechselten Garantie. Kurz gefasst, muss der Händler (und nicht der Hersteller) bei der Sachmängelhaftung laut Gesetz zwei Jahre dafür geradestehen, dass das Produkt die beworbenen Eigenschaften hat und beim Kauf einwandfrei war. Im ersten halben Jahr muss der Käufer nicht einmal beweisen, dass der Mangel schon im Laden vorlag. Natürlich sind üblicher Verschleiß und gewaltsame Beschädigung kein Reklamationsgrund, doch den bestimmungsgemäßen Gebrauch muss zum Beispiel ein Bike mit allen seinen Komponenten aushalten, ohne durch Fehler bei der Konstruktion oder Erstmontage auszufallen. Tut es das nicht, muss der Händler nachbessern und nach mehreren Fehlschlägen möglicherweise sogar den Kaufpreis zurückzahlen.

Garantie macht Stress

Eine Garantie ist dagegen ein freiwilliges Qualitätsversprechen des Herstellers. Er wirbt damit, um das Vertrauen in die Marke zu erhöhen. Sie betrifft normalerweise nicht das Fahrrad als Ganzes, sondern nur die Teile des jeweiligen Radherstellers, also Rahmen, Starrgabeln, manchmal auch dessen Laufräder oder Cockpit der Hausmarke. Manche Garantie klingt zunächst großartig, doch es lohnt, vor dem Kauf die Bedingungen zu lesen. Garantien, die den Renneinsatz ausschließen oder nicht länger als die gesetzliche Sachmängelhaftung dauern, sind wenig wert.

Der Händler hat mit beiden Reklamationsgründen Stress: Bei der Sachmangelhaftung muss er den Kunden zufriedenstellen und kann nur hoffen, dass der Hersteller als sein Lieferant ihn mit Kostenersatz oder wenigstens Material unterstützt. Für die Herstellergarantie wiederum ist er nicht verantwortlich. Doch viele Marken wickeln Garantiefälle nicht über eigene Endkunden-Servicecenter, sondern über ihre Händler ab.

Foto: Jörg Spaniol

Michael Dodl, Shopbetreiber von „Mikes Bikes“ in Füssen, verkauft überwiegend Bikes fürs Grobe – ein Marktsegment mit erheblichem Ärger-Potenzial. „Ja, Gabeln und Dämpfer sind ein übles Thema“ sagt er. Er steht in seinem Laden hinter einem nagelneuen Bike ohne Dämpfer, denn der steckt jetzt im Bike eines Kunden. „Ich kann dem Kunden doch nicht sagen, dass sein Bike jetzt ein paar Wochen rumsteht! Also habe ich ihm den eingebaut. Jetzt steht halt das neue Rad unverkäuflich im Weg, bis der Hersteller Ersatz liefert. Aber mir liegt ja etwas dran, dass die Leute zufrieden sind.“

Seine zwei Hauptmarken hat er auch wegen deren Umgang mit ihren Händlern ausgesucht. „Die Haltung bei deinen Lieferanten ist essenziell“ sagt er. „Wenn deine Marke dich nicht hängenlässt, kannst du auch kulanter sein. Auch mit einem teuren Produkt kannst du kulanter sein, denn du hast ja etwas dran verdient. Bei einem billigen Bike hast du den gleichen Aufwand bei weniger Umsatz.“ Ob seine Kunden ihn gelegentlich mit Garantie-Fakes hereinlegen wollen? Mike grinst: „Das würde ich doch sofort checken.“ Doch dann erinnert er sich an einen Kunden, der ihn mit offensichtlich unberechtigten Forderungen viel Zeit und Nerven gekostet hat. „Den wollte ich eigentlich nie wieder hier sehen“ sagt er, „aber als Händler musst du immer freundlich bleiben. Gegen schlechte Bewertungen im Internet hast du wenig Chancen – viele glauben eher dem armen Kunden als dem bösen Händler.“

Klassiker und die Brechstange

Wohl auch unter dem Eindruck der überbordenden Kommunikation in Online-Plattformen hat die Radbranche in den vergangenen Jahren ihr Reklamationsmanagment professionalisiert. Vor allem bei großen Marken und Versendern gibt es meist klare Regeln und Zuständigkeiten. So unterhält Scott für seine diversen Marken einen technischen Service mit einem Dutzend Mitarbeitern, von denen sieben bis acht ständig Reklamationen bearbeiten. Ihr Chef ist Wolfgang Schobert, und der redet Klartext: „Es gibt immer wieder Produkte mit einer bekannten Schwachstelle. Das sind Reklamationsklassiker, da tun wir nicht lange herum. Aber wir haben auch ein Auge drauf, wenn jemand etwas mit der Brechstange erzwingen will.“

Je nach Wert des Produkts drehen seine Kollegen es eine ganze Weile von rechts nach links, zoomen in Fotos, vergleichen Schilderungen mit Schadensbildern, bevor sich der Daumen für den Kunden hebt oder senkt. Gerade liegt wieder so ein Zweifelsfall vor Schobert, ein sehr teurer Rennschuh mit Carbonsohle, auf Gewährleistung zurückgeschickt. Man muss schon sehr dicht herangehen, um den vermeintlichen Sachmangel zu entdecken: unter einer Materialverstärkung schaut auf einer Fläche von etwa zwei Quadratmillimeter Kleber hervor. Schobert runzelt die Stirn – und hebt letztlich den Daumen. „Im Zweifelsfall ist uns ein zufriedener Kunde auch etwas wert“ sagt er. Der nagelneue Schuh ist damit Müll.

Doch so einfach ist es nicht immer. „Gerade bei Rädern schauen wir nach dem Gesamtzustand, wenn wir entscheiden, ob etwas normaler Verschleiss oder tatsächlich eine Gewährleistung oder ein Garantiefall ist“ sagt er. „Oft fehlt beim Kunden das Verständnis dafür, dass ein technisches Produkt Service und Pflege braucht. Bei einem Auto ist das Serviceintervall selbstverständlich, aber ein Rad soll einfach so endlos funktionieren? Natürlich gibt es Verschleiss!“

Am Ende dieses tiefen Tauchgangs in die Welt der Sachmängel, der Garantien und des Verschleisses wartet keine erlösende Formel, die Biker, Händler und Hersteller vom lästigen Reklamationsärger befreit. Doch die Lage ist nicht hoffnungslos. Dutzende Biker waren unserem Aufruf gefolgt, ihre Erfahrungen mit fehlerhaften Produkten zu schildern. Das unerwartete Ergebnis: Mindestens zwei Drittel der Einsender lobten die Abwicklung ihrer Reklamation, manches technische Desaster löste sich geradezu in Euphorie auf. Auch Mirkos Dämpfer-Ärger wird irgendwann verrauchen – und sei es durch einen Markenwechsel. Garantiert.

Sechs Richtige

Selbst gewiefte Konsumenten stoßen irgendwann an die Grenzen ihrer Rechtskenntnis. Dann hilft nur noch der Anruf beim Experten. Wir haben den Stuttgarter Rechtsanwalt Dr. Michael Heidelbach um Rat in sechs Problemfällen gebeten.

1. Was passiert mit der Garantie, wenn ich außerhalb der EU einkaufe?

Beim Kauf außerhalb der EU richten sich die Gewährleistungsrechte nach den gesetzlichen Vorgaben des Landes, in dem die Sache gekauft wurde. Die davon zu unterscheidenden Garantiebestimmungen bestimmt dagegen der Verkäufer oder Hersteller. Wenn dieser beispielsweise eine weltweite Garantie anbietet, kann man diese im Land des Verkäufers oder Herstellers geltend machen. Bietet er nur eine landesweite Garantie an, fällt die für einen ausländischen Käufer weg.

2. Was tun, wenn bei einem Gewährleistungsfall die Farbe nicht gefällt oder ein Austauschrahmen nicht zum übrigen Setup passt?

Bei einer mangelhaften Kaufsache schuldet der Verkäufer Nacherfüllung. Er hat dann den Käufer so zu stellen, wie dieser ohne Mangel dastehen würde. Das heißt, er hat beispielsweise dem Käufer den gleichen Rahmen einzubauen, den er vorher ausgebaut hat. Dies gilt auch für die Farbe. Hat der Rahmen plötzlich eine andere Farbe oder handelt es sich gar um einen anderen Rahmen, darf der Käufer erneut Nachbesserung vom Verkäufer fordern.

3. Geht beim Gebrauchtkauf die Gewährleistung auf den neuen Besitzer über?

Bei der gesetzlichen Gewährleistung ist die Regelung einfach: Der gewerbliche Händler schließt mit dem privaten Käufer einen Vertrag – und nur mit diesem. Veräußert der erste Käufer die gekaufte Sache später weiter, gibt es einen neuen Vertrag zwischen dem ersten Käufer und dem neuen Käufer. Will der neue Käufer reklamieren, ist damit der private Verkäufer der richtige Ansprechpartner. Oft schließen private Verkäufer jedoch jegliche Gewährleistungsansprüche aus. Der zweite Käufer kann dann keine Gewährleistungsansprüche mehr geltend machen.

4. Nach neuester Rechtslage muss der Händler im Gewährleistungsfall eine „sperrige Sache“ auf seine Kosten abholen lassen. Ist ein Fahrrad so eine sperrige Sache?

Ja. Wenn der Käufer Verbraucher ist, ist der Verkäufer ist verpflichtet, alle erforderlichen Aufwendungen zu tragen, insbesondere Transport-, Wege-, Arbeits- und Materialkosten.

5. Selbst bei einem Racebike kann der Hersteller den Renneinsatz oder das Training dafür von der Garantie ausnehmen. Aber kann er sich damit auch der Gewährleistung entziehen?

Nein. Solange das Rad dem „bestimmungsgemäßen Gebrauch“ nach genutzt wird, können bei einem auftretenden Mangel Gewährleistungsrechte geltend gemacht werden. Kauft man also ein Racebike, kann man Gewährleistungsrechte geltend machen, wenn das Rad bei einem Rennen kaputt geht. Das Radrennen ist dann der „bestimmungsgemäße Gebrauch“.

6. Bei einem Individualaufbau wird der Radhändler zum Hersteller. Habe ich dann noch Garantieansprüche an den Rahmenhersteller?

Bei einem Individualaufbau wird zwischen dem Radhändler und dem Käufer in der Regel ein Werkvertrag über die Herstellung eines individuellen Rades geschlossen. Eventuelle Ansprüche des Käufers richten sich dann nicht mehr gegen den ursprünglichen Rahmenhersteller, sondern – nach Werkvertragsrecht – gegen den Verkäufer des Rades.

erschienen in:
BIKE – Das Mountainbikemagazin